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Die „einmal mit alles“ Flat Rate Kultur

Herausgegeben von Adrian in Allgemeines · 16/8/2015 19:01:00
Ich mag keine Buffets. Schuld daran sind zwei Erlebnisse: Das eine geschah vor vielen Jahren im Urlaub auf Zypern. In unserem Hotel hatten die Köche als Highlight der Woche am Freitag-Abend ein wundervolles Seafood Buffet aufgebaut. Der Hoteldirektor bedankte sich bei den Gästen, hoffte auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr, wünschte allen einen guten Heimflug und eröffnete damit das Buffet. Ich war gut positioniert im ersten Drittel der Warteschlange, vor uns lediglich eine grössere Gruppe britischer oder amerikanischer Pauschaltouristen. Ich bückte mich einen Moment, um die Schuhe zu binden. Als ich wieder aufstand, sah das Buffet aus, als habe ein Fahrschüler mit einem Pisten-bully darauf einen Tag lang darauf rückwärts einparken geübt. Es war ein Jammer und es tat mir nicht nur für die Köche sondern auch für das gute Essen leid.

Das zweite Erlebnis hängt mit dem alljährlichen Ball einer altehrwürdigen Vereinigung zusammen, den ich seit Jahrzehnten besuche. Dieser findet jeweils in einem besseren Restaurant statt und im Vordergrund stehen für mich mehr das Essen und die guten Gespräche als die körperliche Betätigung auf dem Parkett. Anfänglich - dem Tanzkurs vor der Hochzeit sei Dank - beherrschte ich immerhin noch die Grundschritte von Rumba, Cha-cha-cha und Walzer. Dieser Tage warte ich allerdings immer, bis sich die Tanzfläche so sehr füllt, dass wir in deren Mitte unbemerkt im Takt mitschaukeln können. Vielen Dank an Susanns Toleranz (auch) in dieser Beziehung.

Während der Hauptgang als Tellergericht serviert wird, gibt es in der Regel ein Dessert-Buffet. In diesem Zusammenhang erlebe ich Jahr für Jahr dieselbe Geschichte, sobald das Dessertbuffet aufgebaut ist. Während unsereiner entspannt dorthin schlendert, wird man von ansonsten in jeder Hinsicht kultivierten und zivilisierten älteren Damen und Herren überholt, welche trotz ihrem zweiten Schlagfanfall offensichtlich im entscheidenden Moment noch über eine erstaunliche Wendigkeit verfügen. Komme ich dann am Buffet an die Reihe kann ich nur einmal mehr feststellen, dass all die exotischen Leckereien nur noch in Spurenelementen vorhanden sind und ich mich einmal mehr Panna Cotta und Fruchtsalat bescheiden muss.

Ich bin in theologischen Fragen nicht sehr beschlagen, aber seit diesen Erlebnissen erahne ich, was die Bibel meinte, als sie Gier und Völlerei unter den Todsünden einordnete.

Es erscheint mir allerdings dennoch unzutreffend die "All you can eat" Pauschaltouristen allesamt als moralisch ungenügend zu qualifizieren. Wie jeder Strafrechtler weiss, setzt der moralische Vorwurf einen freien Willen voraus und Menschen „die nicht anders handeln können“ sind haben kein Verschulden und sind nicht zu bestrafen. Aufgrund von Vergleichen mit anderen Lebensbereichen drängt sich mir der Verdacht auf, dass das „all you can eat“ Verhalten wohl genetisch bedingt ist und der Homo Sapiens beim Anblick eines Dessert-Buffets gar nicht anders handeln KANN.

Dieses Verhalten hat wohl unserer Vor-vorfahren in der Evolution einen Vorteil beschert und wenn dem nicht so gewesen wäre, so lieferten sich vielleicht heute statt uns die Nachfahren der Säbelzahntiger oder der Mammuts die "heisse Schlacht am kalten Buffet".

Das Pendant zum „all you can eat“ in den anderen Lebensbereichen lautet "Flat Rate". Dies tönt einiges positiver als "Gier und Völlerei" meint aber eigentlich dasselbe. Heutzutage kann man gegen Bezahlung eines monatlichen Betrags "alle" Schallplatten der Welt hören. Für die Bezahlung eines weiteren Betrags können "alle" Staffeln sämtlicher TV Serien und Hollywoodfilme gesehen werden. Die einzige zusätzliche Voraussetzung dafür ist lediglich eine schnelle Internetverbindung, welche man problemlos für weitere Flat Rates für zu Hause oder unterwegs erwerben kann. Solche Abos sind weitverbreitet, obwohl sie sich finanziell gesehen für den grössten Teil der Nutzer nicht lohnen und die Nutzer mit der Zeit der Fähigkeit berauben, Entscheide zu treffen und dazu zu stehen. Aber der Reihe nach:

Die Werbung suggeriert offenbar mit Erfolg, dass Flat Rates finanziell die beste Wahl seien und jeder kennt Schauermärchen von Jugendlichen, welche ihre Eltern in den finanziellen Abgrund gestürzt haben, weil sie in Unkenntnis der Folgen ihres Tun und in Ermangelung einer Flat Rate für Tausende von Franken Handy-Kosten generiert haben. Die Flat Rate habe aber nicht nur Versicherungscharakter sondern sei auch finanziell ein Schnäppchen, da man damit Hundertausende von Filmen und Liedern gratis ansehen resp. anhören könne und damit riesige Beträge spare. Diese Logik mag aufgehen für von seniler Bettflucht geplagte Insassen von Altersheimen, deren Tage lang und unerfüllt sein können. Die meisten Flat Rate Abonnenten sind jedoch entweder berufstätig oder in Ausbildung. Die Zeit am Arbeitsplatz oder in der Schule stellen für diese Personengruppe 8-10 Stunde pro Tag massive Zeitverschwendung auf Kosten der Flat Rate dar. Lästigerweise konnten Netflix, spotify und co bis dato auch das triviale Bedürfnis des Körpers nach Schlaf nicht eliminieren, womit der Flat Rate wiederum wertvolle Zeit in der Grössenordnung von 6-8 Stunden verloren geht.

Selbst wenn man die sozialen Interaktionen mit Verwandten und Bekannten auf das absolute Minimum reduzierte so führen diese äusseren Umstände dazu, dass die Flat Rate von den meisten Benutzern im gleichen Rahmen ausgenutzt wird, wie von den Generationen vor Einführung der Flat Rate. Damals kaufte man 1-2 LPs pro Monat, war vielleicht einmal pro Monat im Kino und sah zusätzlich 2 Filme pro Woche am TV oder auf VHS Videokassetten oder DVDs aus der örtlichen Bibliothek.

Dieser ausgewählte Medienkonsum kostet in der heutigen Zeit weniger als die kumulierten Flat Fees. Insofern kommt man nicht umhin festzustellen, dass die Flat Fee eine Pauschale ist, welche man dafür bezahlt, dass man theoretisch unendlich viele Filme ansehen kann, die man aber de facto gar nicht ansieht.

Die Pauschale bezahlt man aber auch dafür, dass man sich nicht verbindlich für etwas entscheiden muss, sondern jederzeit die Möglichkeit hat zu wechseln, falls etwas vermeintlich Besseres auftaucht. Mein erster Nebenjob als Schüler war das Verteilen der Gratiszeitung "Doppelstab". Dies war ordentlich bezahlt und bei schönem Wetter im Sommer auf dem Fahrrad auch keine schlechte Sache. Etwas mühseliger waren allerdings die Wochen vor Weihnachten, wenn mit der Zeitung zusammen noch ein Dutzend Werbeprospekte verteilt werden mussten. Dies mit klammen Fingern im Schneeregen.

Immerhin konnte ich mir anschliessend davon regelmässig die besagten 2-3 Schallplatten pro Monat kaufen. Diese wurden entsprechend wohlüberlegt ausgesucht, damit ich die Finger nicht umsonst blau gefroren hatte. Dementsprechend verbrachte ich Stunden in Plattenläden mit klingenden Namen wie Soundbox, City Disc oder Roxy, um die kaufenswertesten LPs herauszufinden. Die Entscheidungen waren nicht immer einfach und auch nicht immer richtig.

Manchmal kaufte man auch aus reiner Loyalität die neuste Platte "seiner" Lieblingsgruppe oder folgte den Tipps von älteren Kollegen, auch wenn man nicht ganz überzeugt war. Am schlimmsten waren allerdings die Monate, wo man einfach nichts Überzeugendes fand und mit leeren Händen nach Hause ging. Manchmal brauchte es auch Mut eine Platte zu kaufen, wenn man zwar Musik mochte, nicht aber das image der Band.

Ich erinnere mich gut, wie ich als Jugendlicher lange brauchte, bis ich mich getraute, Platten von Chris de Burgh zu kaufen. Ich mochte dessen Musik eigentlich sehr gut, aber dies passte irgendwie nicht recht zu unserem damaligen image als „Rocker“ auf den frisierten Maxi Puch Mopeds und war auch nicht gesellschaftsfähig bei meinen Kollegen, welche Iron Maiden hörten. Irgendwann habe ich dann allerdings begriffen, dass auch ein Chris de Burgh Fan eine Lederjacke tragen und das schnellste Mofa haben kann.

Im Zeitalter des Streamings ist alles jederzeit verfügbar. Jede Auswahl kann ohne Folgen jederzeit geändert und neu getroffen werden. Dies ist einerseits paradiesisch, stellt uns aber anderseits vor die neue Aufgabe wie mir mit dieser unübersehbaren Auswahl umgehen. Am einfachsten ist es am Döner-Stand, wo man mittels dem „einmal mit alles“ die Frage der Auswahl erledigt hat. Bei Filmen und Musik geht dies jedoch schlechter und dort hat die grosse Auswahl die Schattenseite der Ungewissheit, die falsche Auswahl getroffen zu haben: Vielleicht wäre der andere Film doch bessere gewesen als derjenige, den man ausgesucht hat. Da man – im Gegensatz zu früher - ja jederzeit den Film wechseln könnte, sinkt dadurch die Bereitschaft, sich auch mal mit neuen und anderen Ansichten auseinanderzusetzen, die nicht spontan einleuchtend oder angenehm sind. Die Versuchung ist gross auf den „Wechseln“ Knopf zu drücken, sobald etwas stört.

Dieses Verhaltensmuster beschränkt sich jedoch nicht auf Filme und Musik sondern zieht sich dieser Tage wie ein roter Faden durch die heutige Gesellschaft. Die Bereitschaft, den Arbeitgeber oder den Lebenspartner zu wechseln, sobald es etwas schwieriger wird, ist viel höher als früher. Man mag es als Fortschritt sehen, dass dies heute einfacher möglich ist als früher. Das Feiern eines 30 jährigen Betriebsjubiläums oder einer goldenen Hochzeit ist beinahe so selten geworden wie ein Schlittschuh fahrendes Einhorn. Ich persönlich finde diese Entwicklung und die damit einhergehende Abwertung des Konzepts der Loyalität eher bedauerlich.

Auch beim Kochen gilt es mit der Vielfalt umzugehen und der Versuchung zu widerstehen, all die tollen Gewürz- und Kräutermischungen einzusetzen. Welche von den Fernseh-köchen im doppelpack beworben werden. Auch wenn als Kind mein Lieblingssnack ein mit Butter bestrichenes und kräftig mit Aromat gewürztes Ble-vita war, so mag ich heute den Einsatz von Kräutersalz, Aromat und dergleichen nicht, weil der Eigengeschmack des Gemüses komplett verloren geht. Ich verwende ausschliesslich Salz und etwas Pfeffer sowie ein bis maximal zwei ausgewählte Kräuter, die zum Gericht passen, wie etwa Basilikum auf Tomaten, Rosmarin auf Lammfleisch oder Dill auf Lachs. Auch in dieser Hinsicht bin ich für Loyalität. Dies schliesst aber nicht aus, dass ich mich gerne auch von Susannes kreativen Kombinationen überraschen lasse.

Bis bald und liebe Grüsse, Adrian



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